Aggression Fotografie
Fotografie ein Akt der Aggression? In ihrem Buch über die Rolle der Fotografie in vergangenen Kulturen und unserer aktuellen Gesellschaft (70er Jahre), „On Photography“, schreibt Susan Sontag „There is an aggression implicit in every use of the camera“ oder „To photograph people is to violate them“.
Da fallen mir sofort die Paparazzi ein, da könnten diese Aussagen durchaus schon mal zutreffen. Aber sonst, Fotografie ein Akt der Aggression? In seinem Buch „Contemplative Photography“ analysiert Howard Zehr unseren Sprachgebrauch bezüglich Fotografie: Fotos schießen, Schnappschuss, Fotoshooting … Das geschossene Foto als Trophäe. Das klingt schon recht aggressiv, nach jagen, rauben, nehmen.
Zu der Zeit, als Fotoapparate noch grosse Holzkästen auf drei Beinen waren, gab es das Bild “Fotografie-als-Aggression” noch nicht. Dieses Bild entstand erst, als die kleinen Hand-Apparate entwickelt wurden, die man vor das Gesicht hält und mit einem Auge sein Zielobjekt anvisiert und als es gleichzeitig immer mehr (Amateur)-Fotografen gab die ungefragt Ihre Mitmenschen in der Öffentlichkeit fotografierten ( Bill Jay „The Photographer as Aggressor“).
Unser Sprachgebrauch und unsere Metaphern bezüglich Fotografie sind also aggressiv, räuberisch, imperalistisch. Zweifellos beeinflusst dieser Sprachgebrauch auch unsere Sichtweise der Fotografie und vielleicht sogar die Fotografie selbst. Aber das muß nicht so sein. Wenn wir fotografieren, strecken wir nicht unsere Hand aus und nehmen uns irgend etwas. Ein schwarzes Kästchen mit einem kleinen Loch empfängt Licht, das von einem Subjekt reflektiert wird und welches auf einen Sensor/Film fällt, wodurch ein Bild entsteht. Fotografieren hat also eher etwas mit empfangen als mit nehmen zu tun.
Das Bild der Aggression trifft sicherlich auch nicht bei jedem Genre der Fotografie gleichermaßen zu. Streetfotografie hat eher etwas von Nehmen oder Jagen zu tun, als z.B. die Landschaftsfotografie, wo die Kamera auf einem Stativ steht und der Fotograf womöglich noch mit einem Fernauslöser auslöst. Ich kennen einen recht erfolgreichen Landschaftsfotografen, der grundsätzlich nur mit Stativ fotografiert, um die Haltung des Empfangens zu unterstreichen und um das Fotografieren zu entschleunigen.
In der Portrait Fotografie jedoch ist es nicht verwunderlich, wenn der/die zu fotografierende sich unwohl fühlt, wenn der Fotograf ihn/sie mit einer Kamera vor dem Gesicht anvisiert und mit „Dauerfeuer“ Fotos schießt. Hier könnte ebenfalls ein Stativ die Situation etwas entspannen. Oder einfach nur auf das Display schauen anstelle durch den Viewfinder. Schon ein Viewfinder, mit dem man von oben in die Kamera schaut, entschärft die Situation etwas.
Sicherlich gibt es viele Fotografen, die sich gut mit dem Bild vom Jagen und Nehmen identifizieren können. Für die Freunden der entspannten, kontemplativen Fotografie könnte es durchaus interessant sein, mal ihren Sprachgebrauch zu analysieren und zu schauen, welche alternativen Ausdrücke die empfangenden Haltung fördern würden und ob das ihre Fotografie beeinflusst.
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