Mindfulness und kontemplative Fotografie

Mindfulness heißt nichts anderes als Achtsamkeit, eine gewollte Achtsamkeit die sich auf den gegenwärtigen Moment bezieht und nicht wertend ist. Den Ursprung dieses Konzeptes der „Achtsamkeit“ finden wir in der buddhistischen Lehre und Meditations­praxis. Gearbeitet wird mit dem Konzept hauptsächlich in der Psychotherapie und in der Stressbewältigung.

In der kontemplativen Fotografie kommt es weniger auf Techniken oder zu beachtende Regel an als auf ein frisches, konzeptfreies “Sehen”, das ensteht, wenn Geist, Auge und Herz im Einklang sind, oder wie Henri Cartier-Bresson es beschrieben hat: “… putting one’s head, one’s eyes and one’s heart in the same axis.” Mindfulness ist ein Schlüssel zu diesem Sehen. Erreichen kann man diese Achtsamkeit über Training.

Es geht also nicht in erster Linie darum, Motive beeindruckend darzustellen oder bestimmte fotografische Techniken anzuwenden, sondern darum, die Welt in einer frischen, vorurteilsfreien Weise zu sehen und diese Wahrnehmung so zu fotografieren. Im scheinbar gewöhnlichen das Ungewöhnliche zu entdecken. Schönheit aufzuzeigen, die normalerweise unentdeckt bleibt.

In den seltensten Fällen sind wir mit unserer Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt. Innere Monologe oder Dialoge, Gedanken an etwas was war oder wie es sein wird, Erwartungen etc. sind die mentalen Barrieren, die uns davon abhalten, die Dinge zu sehen wie sie sind. Als Fotograf sind wir auf der Suche nach außergewöhnlichen Motiven, die es Wert sind, abgelichtet zu werden. Wenn wir solch ein Motiv finden, denken wir über Bildgestaltung und Komposition nach, welcher Blickwinkel der richtige sei … Oder wir überlegen, ob andere das Motiv überhaupt interessant finden, ob wir es nicht vielleicht überbewerten, wie die Anderen wohl auf das Bild reagieren, wenn wir es in den Sozialen Netzwerken publizieren. Wir sind so mit unseren eigenen Gedanken beschäftigt, dass wir längst den Kontakt verloren haben, zu dem, was wir sehen.

Und noch ein weiterer Punkt, der verhindert, dass wir Dinge sehen, wie sie sind. Von Goethe stamm die Aussage: Man sieht nur, was man weiß. Uns fallen primär Dinge auf, die wir kennen, von denen wir bereits ein bestehendes Konzept (Erfahrungen, Erinnerungen, Gefühle etc.) haben. Das Problem dabei, wir sehen nicht die Dinge, wie sie sind, sondern unser Konzept dieser Dinge. Unser Sehen ist konzeptuell.

Dem gegenüber steht das perzeptuelle Sehen. Die Wahrnehmung von dem was ist wie es ist, ohne zu analysieren, zu werten oder zu beschreiben. Viele Fotokünstler hatten/haben den Zugang zu diesem Sehen und konnten es umsetzen: Henri Cartier-Bresson (dem Lehren des Zen-Buddhismus nicht fremd waren), Alfred Stieglitz, Edward Weston, Paul Strand oder Robert Adams, um nur einige zu nennen.

Nun wird so mancher foto-affine Leser denken, na toll, manche werden eben als Künstler geboren, was bringt mir das? Hier die gute Nachricht: Wir alle haben dieses Sehen, den direkten Kontakt zu dem Gesehen. Wir wissen es nur nicht, deshalb merken wir es auch nicht. Sobald wir es aber wissen, können wir es bemerken. Der erste Schritt zum perzeptuellen Sehen ist getan.

Diese Wahrnehmung von Dingen passiert immer dann, wenn es mal gerade einen Bruch, eine Pause in unserer mentalen Selbstbeschäftigung gibt. Und wir merken, wie uns irgend etwas „in’s Auge sticht“. Aber eben nicht bewusst, denn schon sind wir wieder mit unseren Gedanke beschäftigt. Diese Wahrnehmung ist uns immer zugänglich, genauso wie unsere Kreativität immer vorhanden ist, bei jedem! Man kann sich das so vorstellen, wie mit der Sonne, die immer scheint, nur sehen wir sie nicht, weil unser Himmel mit dicken Wolken bedeckt ist. Nur wenn die Wolkendecke mal aufbricht kommt die Sonne, die Kreativität zum Vorschein. Wir müssen nur darauf achten, wann die Himmel sich wieder auftut. Und unser Training wird wie ein Wind sein, der die Wolken auseinander treibt.

Die Übung besteht darin, diese Augenblicke zu erkennen und sie dann nutzen, indem wir die Dinge so fotografieren wie wir sie sehen. Ein Tipp hierfür von Cartier-Bresson: Thinking should be done beforhand and afterwords – never while actually taking a photograph.

Eine prima Anleitung, wie man das trainieren kann, findet Ihr in dem Buch „The Practice of Contemplative Photography: Seeing the World with Fresh Eyes„. Erfahrungen in Meditation oder Mindfullness sind hierbei durchaus hilfreich. Ein einfaches Trainingsprogramm hierzu wird z.B. hier geboten: „Mindfulness: An Eight-Week Plan for Finding Peace in a Frantic World„. Und wer sich für die buddhistischen Lehren interessiert, auf denen das Ganze gründet, dem empfehle ich diese Lektüre: „True Perception: The Path of Dharma Art„.

1 Kommentar

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  1. […] Vor kurzem bat mich jemand, seinen Blumengarten zu fotografieren. Dieser Garten war mir nicht bekannt. Ich musste folglich ihn als erstes einmal  besichtigen, den Charakter des Gartens und fotografierenswerte Motive entdecken. Im folgenden werde ich meine Vorgehensweise skizzieren, wenn ich ohne vorgegebenes Konzept fotografiere.  Mein Vorgehen orientiert sich am kontemplativen Fotografieren –  ohne dessen buddhistische Hintergründe und Medidationspraktiken aufzugreifen (>>> ein Einstieg zum Beispiel) […]

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